Der Völkermord Israels an den Palästinenser*innen

Zur aktuellen Situation in Palästina, zur internationalen Situation und zur Entwicklung der palästinensischen Gesellschaft

22/23-09-2025, von Volker Jung u. Rainer Dörrenbecher

Vorbemerkung: In dem Beitrag wird für den Gaza-Streifen der Begriff „Gaza“ benutzt und für die Stadt „Gaza-Stadt“; für Westjordanland wird der Begriff „Palästina“ benutzt, der auch für beide Landesteile, einschl. Gaza steht.

Zur aktuellen Situation in Palästina

In der Nacht zum Dienstag, den 16. September drangen Panzer der IDF (Israelische „Verteidigungs“Kräfte) in die Wohngebiete der Stadt Gaza ein. Zuvor wurden Wohngebäude von der israelischen Luftwaffe bombardiert. Innerhalb von 20 Minuten wurde Gaza 37-mal angegriffen. Während des Dienstags rückten drei Divisionen der IDF unter Begleitfeuer von Bomben und Granaten in Richtung Zentrum vor.

Nach vorsichtigen Schätzungen sind seit dem Massaker der Hamas und Verbündeter am 07. Oktober 2023 mit ca. 1.200 Toten etwa 65.000 Palästinenser*innen ums Leben gekommen und mehr als 120.000 verletzt. Allerdings spricht die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese nach Expertenmeinung von 700.000 Opfern. Dreiviertel davon sind laut Statistiken der Vereinten Nationen Frauen und Kinder.

In Gaza sind alle staatlichen Strukturen, Schulen, Krankenhäuser, Wasserversorgung zusammen gebombt. Israel setzt das Verhungern der Menschen als Waffe ein. Die Palästinenser*innen sterben durch Kugeln, Granaten, Bomben und Raketen, durch fehlende medizinische Versorgung, durch Nahrungs- und Wassermangel. Elend und Not der Menschen in Gaza sind unbeschreiblich.

In dem von Israel besetzten Palästina werden die Lebensbedingungen für die palästinensische Bevölkerung verschlechtert. Die Besatzungssoldat*innen unterdrücken jeglichen öffentlichen Protest der Palästinenser*innen gegen den Krieg in Gaza und führen massenhaft Verhaftungen durch. Israelische Kolonisator*innen („Siedler*innen“) vertreiben weiterhin unter dem Schutz der israelischen „Sicherheitskräfte“ Menschen aus ihren Häusern und zerstören ganze Dörfer. Inzwischen hat Israel den letzten Grenzübergang nach Jordanien geschlossen; das bedeutet eine weitere Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten und Lebensbedingungen.

Es stellt sich die Frage: Was nutzt das ganze militärische Vorgehen Israel?

Es fällt auf, dass alle dreisten Militäroperationen Israels in den letzten Monaten nicht dazu beitragen, auch nur eine einzige „Aufgabe“ langfristig zu lösen. Die Angriffe auf den Iran blieben ohne Ergebnis, die Ermordung der Führungsspitze der Hisbollah führte nicht zu deren Zerschlagung und die Attacke auf Doha brachte ihren Schutzherren aus Washington enorme Schwierigkeiten in der Region ein. Durch die Untergrabung des Einflusses der USA sägt Tel Aviv an dem Ast, auf dem es selbst sitzt.

US-Außenminister Marco Rubio, übrigens kubanischer Herkunft, der große Scharfmacher gegen Kuba, besuchte jetzt Israel und sprach vorher: „US Präsident Trump sei nicht glücklich über Israels Luftangriff in Katar“. Heraus kamen aber wohl die militärische Unterstützung bei dem Vorhaben, die Bevölkerung in Gaza gänzlich zu vertreiben und die Unterstützung Israels durch die Anerkennung Jerusalem als Hauptstadt.

Auffällig ist, dass in letzter Zeit in unserer Presse meist von Jerusalem statt Tel Aviv als Kooperationspartner gesprochen wird. Zur Erinnerung: die Vereinten Nationen erkennen Jerusalem als Hauptstadt Israels nicht an.

Zunehmender internationaler Widerstand

Inzwischen ist der Druck aus der Zivilgesellschaft und der Politik auf die Regierungen der Länder des „Werte-Westens“ auf ihre eigenen postulierten Werte so stark, dass sich einiges bewegt.

Zunehmend gibt es Forderungen nach einem Ausschluss Israels aus Kultur- und Sportwettbewerben, verurteilen Künstler*innen den israelischen Völkermord und rufen zur Solidarität mit den Palästinenser*innen auf.

Hunderte Schauspieler*innen und Mitarbeiter*innen der Filmbranche forderten einen Boykott israelischer Filminstitutionen. Diese seien am Völkermord an den Palästinenser*innen beteiligt, heißt es in dem Aufruf. Man müsse alles tun, „um die Mittäterschaft an diesem unerbittlichen Horror zu bekämpfen“, hieß es in dem Aufruf mit inzwischen mehr als 1.700 Unterzeichner*innen.

Beim Filmfestival in Venedig wurde der Dokumentarfilm „The Voice of Hind Rajab” über ein fünfjähriges palästinensisches Mädchen, das von israelischen Soldat*innen in Gaza getötet wurde mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Dies war ein direkter Appell an die Filmindustrie, sich zum Völkermord in Gaza zu äußern. Der Film erhielt bei den Filmfestspielen 23 Minuten lang Standing Ovations.

Aus Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen haben vergangene Woche Gewerkschaften in Italien zu Proteststreiks aufgerufen. Im überregionalen Bahnverkehr gab es größere Verspätungen. In Großstädten wie Rom und Mailand funktionierte der öffentliche Nahverkehr nur eingeschränkt. An Schulen und Universitäten gab es Blockaden. In verschiedenen Städten fanden zudem Kundgebungen mit mehreren Zehntausend Teilnehmern statt. Allein in Rom gingen mehr als 40.000 Menschen auf die Straße. Größere Aktionen fanden auch in Mailand, Florenz, Neapel, Bari und Palermo statt. In Genua und Livorno setzten Hafenarbeiter die Blockade der Häfen fort.

Die spanische Regierung beschloss unter anderem ein Waffenembargo gegen Israel sowie ein Einreiseverbot „für all jene Personen, die sich direkt am Völkermord, an der Verletzung von Menschenrechten und an den Kriegsverbrechen in Gaza beteiligen“. Im Ministerrat wurden die Namen der israelischen Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich explizit genannt.

In Frankreich hatten fast 1.000 Städte vor ihrem Rathaus palästinensische Fahnen aufgezogen. Der Innenminister ließ per Regierungsdekret diese mit einer Geldstrafe von 1.500 Euro pro Tag belegen.

Präsident Emmanuel Macron setzt mit der offiziellen Anerkennung Palästinas die Zwei-Staaten-Forderung fort, die schon die Amtsvorgänger François Mitterrand und Jacques Chirac über viele Jahre vertreten haben. „Diese Anerkennung soll nicht zuletzt unterstreichen, dass das palästinensische Volk kein ‚überflüssiges Volk‘ ist, wie der israelische Premier Benjamin Netanjahu glauben machen will“, erklärte Macron.

„Luxemburg erkennt den Staat Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 an, die der Besetzung des palästinensischen Gebiets durch Israel vorausgingen und die zuletzt durch die Resolution 2334 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen von 2016 bestätigt wurden“, teilte das luxemburgische Außenministerium mit. Diese Resolution erinnere daran, dass diese Grenzen nicht einseitig von Israel geändert werden könnten, sondern lediglich im gegenseitigen Einvernehmen bei Verhandlungen zwischen Israel und Palästina im Rahmen des Friedensprozesses.

Im UNO-Sicherheitsrat brachten vergangene Woche die zehn Nichtständigen Mitglieder erneut eine Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand und die Zulassung von Hilfsgütern ein. Dies angesichts der brutalen Ausweitung der israelischen Angriffe auf die Bevölkerung von Gaza Stadt und der mangelnden Nahrungsmittel und Gesundheitsversorgung für die Menschen in dem Kriegsgebiet. 14 der 15 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates stimmten für die Resolution, die USA legten ihr Veto ein.

Inzwischen haben 157 Staaten Palästina als Staat anerkannt und unterstützen damit die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung. Das ist der eigentliche Hintergrund, warum Israel so heftig dagegen protestiert.

Genau dies ist jetzt auf der Tagesordnung, vorangetrieben auch durch Frankreich. So war der Besuch des US-Außenministers Rubio in Israel wohl zum Ausloten, was die USA noch stützt bei der weiteren Besetzung des Westjordanlandes, wenn die UN eine Zweistaatenlösung forcieren sollte.

Die UN-Menschenrechtskommission stuft das Vorgehen der Israelis jetzt offiziell als Völkermord ein. Im Bericht heißt es: „Die israelischen Behörden haben die Reproduktionsfähigkeit der Palästinenser im Gazastreifen als Volksgruppe teilweise zerstört, unter anderem durch Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten; es wurden absichtlich solche Lebensbedingungen geschaffen, die auf die physische Vernichtung der Palästinenser als Volk abzielen, was gemäß dem Römischen Statut und dem Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes als Völkermord gilt.“

Die 72 Seiten enden mit konkreten Forderungen an Israel, alle völkermörderischen Praktiken sofort einzustellen und sofort einen Waffenstillstand in Gaza zu gewährleisten. Es wird darauf hingewiesen, dass jedes seiner Organe strafrechtlich verfolgt werden kann (seien es Einzelpersonen, Kommissionen, Ämter mit öffentlicher Gewalt, auch wenn eine direkte Anklage insbesondere gegen Premierminister Netanjahu, den ehemaligen Verteidigungsminister Gallant und Präsident Herzog erhoben wird).

Von Drittstaaten wird verlangt, ein Militärembargo gegen Israel zu verhängen, mit den internationalen Gerichten zusammenzuarbeiten und einzugreifen, um den Völkermord an den Palästinensern sofort zu beenden. Die Pflicht zur Verhinderung eines Völkermordes sei bereits am 26. Januar 2024 durch die vom Internationalen Gerichtshof angeordneten Maßnahmen ausgelöst worden.

Unter dem internationalen Druck will die EU leichte Sanktionen durchsetzen: Handelsteile des Assoziierungsabkommens mit Israel sollen ausgesetzt werden und die rechtsextremen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, sowie extremistische Siedler*innen sollen sanktioniert werden. Was das auch immer bedeutet. Die EU-Außenbeauftragte Kallas sagt dazu: „Das Ziel ist nicht Israel zu bestrafen; das Ziel ist, die humanitäre Lage in Gaza zu verbessern.“

Es geht insgesamt um geringe Sanktionen, die aber wohl nie in Kraft treten werden, da sich sicherlich nicht die entsprechenden Mehrheiten in der EU finden werden. Augenblicklich wird der Plan von Spanien, Frankreich, Irland, Belgien, Dänemark, Schweden und den Niederlanden gestützt. Vehement widersetzt sich die Bundesregierung zusammen mit Österreich und Italien dem Vorschlag.

Israel ist international führend in der Militärtechnik, vor allem bei der Luftabwehr und Angriffsdrohnen. Als militärischer Partner ist Israel für die EU und vor allem Deutschland unverzichtbar.

Deutsche Staatsräson im Rückzug?

Inzwischen hat auch in unserer Presse ein leichtes Umdenken in der Berichterstattung über den mörderischen Krieg Israels begonnen, so schreibt zum Beispiel der „Kölner Stadt-Anzeiger: „Erst massiver Druck brachte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu, Sanktionen gegen Israel wegen der Eskalation im Gazastreifen vorzuschlagen … Dieser Schritt ist ein Wendepunkt. Er sendet das lange erwartete längst überfällige Signal: Europa ist nicht länger bereit tatenlos in Gaza zuzuschauen.

Die Nürnberger Zeitung schreibt: „Das Scheitern der Europäer ist beschämend angesichts der Völkerrechtsverstöße Israels im Gazastreifen und der Siedlungspolitik im Westjordanland, die eine Zwei-Staaten-Lösung mittlerweile unmöglich macht.“

Inzwischen will Merz keine Waffen mehr für die Angriffe auf Palästina liefern. Außenminister Wadephul: „Die neuerliche Offensive Richtung Gaza Stadt ist die vollkommen falsche Richtung“. Damit gibt es erstmals deutliche Kritik und eine Maßnahme gegen Israel. Auch wenn diese mehr symbolhaft ist, dies ist eine Reaktion auf den angewachsenen Druck, vor allem außenpolitisch. Zugleich halten die Regierung und die neozionistischen Grünen an der Staatsräson fest.

Weiterhin wird Kritik an Israel entsprechend den Aussagen von UN-Institutionen als antisemitisch diffamiert und werden Solidaritätsaktionen mit den Palästinenser*innen kriminalisiert. Cancel Culture (Kulturzensur) wird weiterhin betrieben, öffentliche Institutionen unter Druck gesetzt. Selbst international angesehene jüdische Autor*innen, Journalist*innen und Uni-dozent*innen werden ausgegrenzt.

David Ranan, Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, ebenfalls „gecancelt“, bewertete die deutsche Staatsräson in einem Vortrag bei einer Privatveranstaltung, (Israelkritiker David Ranan: „Palästinenser werden barbarisch misshandelt“ Zitat FAZ Online 23.09.25 : „Als falsch bezeichnete es Ranan, dass in Deutschland Kritik an Israel häufig mit Judenhass gleichgesetzt werde. Denn der Begriff Antisemitismus werde von Israel gezielt instrumentalisiert, um Kritik kleinzuhalten. »Nur wenige, die Israel kritisieren, sind wirklich Antisemiten«, sagte Ranan. »Leider gibt mein Land den Menschen mehr als genügend Gründe, es zu hassen.«

Der Autor fordert deshalb eine generelle Kehrtwende der deutschen Politik gegenüber der israelischen Regierung. Die Lieferung von Waffen, die im Westjordanland eingesetzt würden, müsse gestoppt werden. Deutschland sollte außerdem seine Blockadehaltung gegenüber europäischen Sanktionen gegen Israel aufgeben. »Die deutsche Israelpolitik ist moralisch aus dem Ruder gelaufen.«“

Entwicklungen der palästinensischen Gesellschaft

Zur Entwicklung der palästinensischen Gesellschaft, der Entwicklung der politischen Kräfte und welche es überhaupt gibt, haben wir nur geringe Informationen, eigentlich nur Überschriften. Auch linke Medien, einschließlich den Marxist. Blättern, befassen sich im Wesentlichen mit den konkreten Situationen. Einen Einblick gibt es in Büchern, die sich konkret mit dem Thema befassen und weniger mit unserem, dem linken, solidarischen Verhältnis mit den Palästinenser*innen.

Die Missachtung des palästinensischen Selbstverständnisses beginnt schon mit den Begriffen. Im allgem. Sprachgebrauch heißt es bei uns „Gazastreifen“ und „Westjordanland“. Auch die Linke und die Literatur benutzen diese Begriffe. Beide Begriffe wurden nicht von den Palästinenser*innen geprägt. Ich stütze mich auf ein Buch von 2005: „GAZA – Tage und Nächte in einem besetzten Land“ von Amira Hass, einer israelischen Journalistin, die nach der ersten Intifada Ende der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre zeitweise in Gaza lebte. Wie der Titel des Buches sagt, Gaza steht im antikolonialen Sprachgebrauch für die Region Gaza und wenn es um die Stadt geht eben um Gaza-Stadt.

Der „Gaza-Streifen“ war ursprünglich ein Gebiet in das sich vertriebene Palästinenser*innen 1948/49 flüchteten, von Ägypten kontrolliert wurde und diesen Begriff erhielt. Das Westjordanland war als Transjordanien Teil des Königreiches Jordanien. Das Gaza-Gebiet ist territorial wirklich nur ein Streifen an der Küste, mehrheitlich 6 Km breit, im Süden 14 Km und ca. 40 Km lang mit ca. 2 Mio. Einwohner*innen. Die Fläche beträgt 360 Km2. Das Saarland hat rd. 1 Mio. Einwohner*innen und 2.500 Km2 Fläche, fast 7mal so viel.

Die Entstehung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PAB)

Zum Verständnis der politischen Lage in Palästina und Gaza vor dem Hamas-Massaker ist ein weiter Rückblick sinnvoll. Ganz Palästina ist seit dem „6 Tage Krieg“ im Juni 1967 von Israel militärisch besetzt. Ende 1987 entluden sich der Unmut der palästinensischen Bevölkerung gegen die Besatzung in Aufständen. Es begann in einem Flüchtlingslager im Gaza-Gebiet und breitete sich auf die Flüchtlingslager in ganz Palästina aus, die erste Intifada. Sie entstand spontan, ohne Führung. Eine Führung entstand im weiteren Verlauf aus örtlichen palästinensischen Akteur*innen. Die PLO-Führung befand sich noch im Exil. Die örtlichen Fatah-Führer und der anderen Organisationen waren überrascht und spielten zunächst keine Rolle.

Neben den säkularen Organisationen der PLO begannen mit Beginn der 1980er Jahre die islamistischen Moslembrüder in Palästina ihren Einfluss auszubauen. Gleichzeitig fand neben der religiösen eine Aktions-Radikalisierung statt. In Gaza bildeten sie bewaffnete Kleingruppen, die sich vor allem gegen die säkulare Gesellschaft und die PLO richteten. Während der Intifada spalteten sich diese als Hamas (Islamische Widerstandsbewegung) von der Moslem-Bruderschaft ab. Die bewaffneten Gruppen beteiligten sich als Unabhängige an der Intifada.

Die Moslembrüder/Hamas wurde ausgiebig von anderen Moslembruderschaften und u.a. von Qatar und dem Iran finanziert und unterstützt. Bis zur Intifada hat Israel die Finanzierung der Moslembrüder nicht behindert; zumindest sind keine Erkenntnisse bekannt. Es gibt aber auch keine Erkenntnisse, dass Israel diese als Gegengewicht zur PLO unterstützt hätte.

Im September 1989, ein Jahr nach der Palästinensischen Unabhängigkeitserklärung hat Israel die Hamas für illegal erklärt.

Ende 1988 verkündet die PLO im Exil die Palästinensische Unabhängigkeitserklärung und proklamiert den Staat Palästina auf dem Gebiet Transjordaniens und Gaza. Jordanien hatte zuvor auf Transjordanien verzichtet und Ägypten auf Gaza. Es folgten Gespräche der PLO-Führung mit verschiedenen Regierungen, auch zunächst geheime mit Israel.

Im Mai 1994 konstituierte sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PAB) in Ramallah. Die Exil-PLO kehrte nach Palästina zurück. Israel beendete die militärische Besetzung von Gaza, Palästina blieb weiterhin besetzt. Die Selbstverwaltung war für die palästinensische Bevölkerung in den beiden Teilen eine gewaltige Veränderung, brachte für das Leben viele Erleichterungen. Es begann eine internationale Unterstützung und wirtschaftliche Entwicklung vor allem in Palästina (Westjordanland). Die persönlichen und wirtschaftlichen Kontakte zwischen beiden Teilen Palästinas wurden weiterhin von Israel kontrolliert und nach Gutdünken gehandhabt.

Die wirtschaftliche Entwicklung ist allerdings sehr differenziert gewesen; die Wahrheit ist übertüncht. In Gaza sank das Pro-Kopf-Einkommen von 1992 – 1996 um 37%, die Arbeitslosigkeit stieg auf 39%. Näheres siehe Anhang.

Die PAB konnte staatliche Strukturen aufbauen, eine Gerichtsbarkeit und Polizei. Es fanden Wahlen statt und ein Parlament konstituierte sich. Die PAB war verantwortlich für die Innere Sicherheit, und das hieß verantwortlich, dass Palästinenser*innen sich gegen israelische Übergriffe nicht wehren durften. Eine Falle für die PAB, diktiert von Israel. Die verschiedenen „Friedensabkommen“ in der Folgezeit brachten den Palästinenser*innen zwar immer wieder kleine Fortschritte, in den wichtigen Fragen, in der Frage der Flüchtlinge und Fortschritten in der Staatsbildung blockierte Israel. Die Besatzung blieb bestehen, der Landraub (israelische Siedlungen) mit Unterbrechungen fortgesetzt. Gaza wurde schließlich komplett abgeriegelt, der Flughafen bombardiert.

Gesellschaftspolitische Widersprüche

Sehr früh entwickelten sich in der palästinensischen Gesellschaft Spannungen. Regierungs-, Verwaltungs- und Polizei-Posten wurden vornehmlich mit Fatah-Leuten des Exils besetzt. Die Inlands-Führer, vor allem außerhalb der PLO blieben außen vor. Kritiker Arafats und der PAB-Führung wurden bedrängt. Neben der Polizei wurde eine palästinensische Sicherheitspolizei geschaffen und ein Staatsstrafgerichtshof. Die israelischen Geheimdienste reichten nicht mehr. Mehrere Arafat-kritische Persönlichkeiten wurden inhaftiert und Widerständler*innen gegen das israelische Besatzungsregime von den Israelis inhaftiert. Die PAB wurde zunehmend autoritär, die demokratischen Rechte eingeschränkt.

Das Ansehen der PAB in der Bevölkerung in ganz Palästina sank immer mehr, es entstand der Eindruck der Kollaboration mit der Besatzungsmacht, was auch nicht ganz falsch war. Die PAB saß und sitzt in einer z.T. selbst verschuldeten Zwickmühle. Unter diesen Bedingungen gewann die Hamas immer mehr Ansehen in der Bevölkerung.

Im Sept. 2000 brach die 2. Intifada aus. Am Anfang war eine bewusste Provokation von Ariel Sharon, damals Likud-Chef und Oppositionsführer, der unter dem Schutz hunderter Sicherheitskräfte den Tempelberg „besuchte“. Die PAB protestierte und rief zu Massendemonstrationen auf, die jedoch wenig befolgt wurden, bei dem Null-Ansehen nicht verwunderlich. Tags darauf behindern israelische Polizist*innen die Freitagsgebete, es kommt zu Rangeleien, die Polizei schießt. Es folgten palästinensische Massendemonstrationen und Streiks. Der Aufstand eskalierte zu militärischen Zusammenstößen der Al-Aqsa-Brigaden der Fatah und der Qassam-Brigaden der Hamas mit israelischen Kräften. Er dauerte mehr als zwei Jahre und bricht Ende 2002 zusammen.

Auch die zweite Intifada (Al-Aqsa-Intifada) entstand nicht organisiert. Zorn und Widerstand richteten sich gegen die israelische Besatzungsmacht, wurde aber auch genährt durch weit verbreitete Unzufriedenheit gegenüber der PAB. Die Hamas gewann zunehmend an Ansehen und Einfluss.

Es folgen internationale Verhandlungen mit dem Ergebnis der „Road Map“, die von Israel nur in Ansätzen umgesetzt wird. Weiter ging es mit Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis, Attentate, Bombardierungen, gezielte Tötungen palästinensischer Führer – radikaler und gemäßigter.

Im November 2004 stirbt Arafat, Mahmud Abbas wird sein Nachfolger in den drei Funktionen, Fatah, PLO-Vorsitzender und Präsident. Anfang 2006 finden Parlaments-Wahlen statt, dem Palästinensischen Legislativrat. Hamas gewinnt eindeutig. Zunächst bildet sie eine „Technokraten-Regierung“; diese wird vom „Werte-Westen“ nicht anerkannt. Im Frühjahr 2007 wird unter saudischer Vermittlung eine Einheitsregierung gebildet. Doch schon im Juni bricht in Gaza der Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah aus. Die Fatah räumt Gaza, Hamas übernimmt dort die Macht. Israel stuft Gaza als feindliches Territorium ein. Abbas bildet eine neue Regierung ohne Hamas.

In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Massendemonstrationen in beiden Teilen Palästinas mit der Forderung nach nationaler Einheit. Und es gab auch Gespräche. Es kam zu Vereinbarungen, die nicht lange hielten. Eine Einheit kam nicht zustande, immer wieder gab es Auseinandersetzungen zwischen den Organisationen und Kämpfe mit israelischen Kräften, es gab die Raketenangriffe und das israelische Zurückschlagen. Hamas hatte sich in Gaza festgesetzt, in Palästina hatte die Besatzungsarmee die Qassam zerschlagen.

Einen Erfolg konnte die PAB 2012 erreichen mit der Anerkennung Palästinas mit Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen; eine Vollmitgliedschaft wurde abgelehnt. Im Jahr darauf trat Palästina dem Internationalen Strafgerichtshof bei. Im Mai vorigen Jahres stimmten bei der Generalversammlung der UNO 143 Staaten für die Anerkennung, das Veto der USA im Sicherheitsrat verhinderte die Umsetzung.

Die PAB verschob immer wieder die Durchführung von Wahlen aus fadenscheinigen Gründen. Eine Abwahl der Fatah dürfte sicher gewesen sein. Ebenso fanden in Gaza keine Wahlen mehr statt.

Israel hatte inzwischen eine systematische Verdrängungspolitik in Ostjerusalem und Palästina betrieben. Das Land wurde zerstückelt, Dörfer und Städte voneinander getrennt und nur noch auf Umwegen zu erreichen. Neben der fortgesetzten Zerstörung palästinensischer Dörfer und dem Landraub wurde die palästinensische Infrastruktur zerstört. Resolutionen der UNO blieben wirkungslos. Die Besatzungsarmee zerstörte Wohngebiete unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung.

Die PAB war völlig machtlos. Gaza war abgeriegelt.

Gegenwärtig versucht der „Werte-Westen“ Israel dafür zu gewinnen, unter einer Regierung der PAB eine Situation ohne Krieg für einen Wiederaufbau in Gaza anzustreben. So wie es aussieht, würde dies auch von der Arabischen Liga befürwortet. Mit der Bombardierung von Qatars Hauptstadt Doha hat Israel die sehr unterschiedlichen arabischen und weiteren islamischen Länder zusammengeführt. Doch bisher haben sich diese gegenüber Israel auf Wortgefechte beschränkt.

Anhang: Amira Hass, GAZA – Tage und Nächte in einem besetzten Land; DTB 2004; S. 367/368

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