Stolpersteine für Leander Bernard 1910 – 1966 und Irene Bernard, geb. Altpeter, 1908 – 2002

Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern

Er will unter sich keinen Sklaven sehn und über sich keinen Herrn.

B. Brecht: Einheitsfrontlied 1934

Die Bernards – eine Saarbrücker Familie im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, für Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt

80 Jahre nach der Besetzung Saarbrückens durch die US-amerikanische Armee und damit dem Ende der Nazi-Herrschaft wurden Irene und Leander Bernard als Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus geehrt. Am 11. April wurden für sie vor ihrer ehemaligen Wohnung in der Reuterstraße bei einem würdigen Gedenken Stolpersteine enthüllt. Beantragt hatte die „Vereinigung der Verfolgten ders Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen“, (VVN-BdA) Landesvereinigung Saarland die Stolpersteinverlegung bei der Stadtverwaltung.

Über 60 Teilnehmende waren zu dem Gedenken zusammengekommen. Tochter Alice Hornung und Sohn Horst Bernard mit Familienangehörigen, Mitglieder der VVN-BdA, Mitglieder der DKP, des „Bündnis solidarische Linke“, Vertreterinnen von „Omas gegen Rechts“ und der „Peter-Imandt-Gesellschaft/RLS“, sowie SchülerInnen und LehrerInnen der Günter-Wöhe-Schulen, Vertreter der Stadtverwaltung und des Stadtrates und weitere.

Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conrad würdigte in einer Ansprache das Leben von Irene und Leander. Alice Hornung würdigte in ihrem Namen und dem ihres Bruders Horst das Vermächtnis ihrer Eltern. (Ansprache siehe unten) Schülerinnen und Schüler trugen ihre Gedanken und Schlussfolgerungen aus dem Leben von Irene und Leander vor; besonders beeindruckend die kurze Ansprache einer geflüchteten jungen Frau. (interessanter Bericht https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/landespolitik/schueler-ehren-vor-nazis-geflohene-saarbruecker-familie_aid-126237509 )

Wer waren und sind die Bernards, dass SchülerInnen in ihnen so etwas wie Vorbilder sehen und OB Conrad, nicht bekannt für linke, antifaschistische Positionen, diese würdigt?

Irene und Leander, den alle Leo nannten, waren in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), der Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei Saar, engagiert. Im antifaschistischen Widerstand gegen die Nazis arbeiteten sie mit Mitgliedern der Kommunistischen Jugend zusammen und später gemeinsam in der antifaschistischen Einheitsfront. Diese Einheitsfront, zunächst vereinbart von der KP Saar und der SP Saar, war ein Kampfbündnis gegen die Eingliederung des Saargebietes in das faschistische Deutschland, für Beibehaltung des Status Quo und für soziale und demokratische Rechte der ArbeiterInnenklasse des Saargebietes. (siehe https://www.dkp-saarland.de/landespolitik/90-jahre-einheitsfront-der-arbeiterbewegung-erinnern-an-die-grosskundgebung-in-sulzbach/ )

Leo und Irene hatten 1932 geheiratet und im gleichen Jahr kam ihr Sohn Horst zur Welt. Tochter Alice wurde im November 1934 geboren. Das Leben war nicht einfach; wie viele andere war Leo oft arbeitslos. Und doch unterstützten sie „Reichsemigranten“ mit solidarischer Anteilnahme, gaben Quartier und Essen. „Tag und Nacht“ waren Leo und Irene unterwegs, verteilten Flugblätter, klebten Plakate, sammelten Solidaritätsspenden, waren dabei bei Kundgebungen und Demonstrationen.

Doch die SaarländerInnen entschieden sich mit überwältigender Mehrheit für das „Heim ins Reich“ zur „Deutschen Mutter“, auch wenn diese Mutter inzwischen faschistisch war. Leo war nun doppelt gefährdet; er entstammte einer jüdischen Familie und war als aktiver Antifaschist bekannt. Nach der Plünderung und Verwüstung des Gebäudes der Arbeiterwohlfahrt in ihrer Straße und den Morddrohungen gegen bekannte Antifaschisten mussten auch sie um ihr Leben fürchten. Leo flüchtete Ende Januar nach Frankreich; Irene folgte Mitte Februar mit der 3 Monate alten Alice und dem 2 jährigen Horst.

Nach mehreren Zwischenstationen lebte die Familie in Agen, Département Lot et Garonne, Region Nouvelle-Aquitaine. Das Leben war nicht einfach; sie mussten die Sprache erlernen – was den Kindern leichter fiel – und sich in der Gemeinschaft einfinden. Leo verdiente den Lebensunterhalt als Bau- und Waldarbeiter.

Im folgenden Jahr putschten in Spanien faschistische Generäle mit Unterstützung Deutschlands und Italiens gegen die Volksfrontregierung. Der spanische Bürgerkrieg hatte begonnen. Aus vielen Ländern gingen AntifaschistInnen nach Spanien und bildeten die Internationalen Brigaden. Irene und Leo begannen wieder mit ihrer Solidaritätsarbeit. Durchreisenden Interbrigadisten boten sie wie ihre Nachbarn Hilfe, beteiligten sich an den Spendensammlungen.

Nach dem Überfall Deutschlands in Polen, dem Beginn des 2. Weltkrieges, internierte die bürgerliche Regierung Frankreichs alle Deutschen und Österreicher, unabhängig ihrer Aufenthaltsgründe. Leo kam in das Camp de Catus, im Nachbardépartement Lot.

Die Lebensbedingungen für Irene mit ihren beiden Kindern, offiziell „feindliche Ausländer“, waren nur mit Hilfe ihrer französischen Nachbarn zu bewältigen; und inzwischen war Irene wieder schwanger. Mit der Geburt von Guy, der nach französischem Recht als französischer Staatsbürger geboren wurde, kam Leo im Mai 1940 wieder frei. Das war ein großes Glück, hatte sich mit dem deutschen Angriff auf Frankreich für die übrigen Deutschen die Situation weiter verschärft.

In Agen lebte die Familie in einem solidarischen antifaschistischen Umfeld. So wurden sie immer rechtzeitig vor Razzien der Vichy-Polizei gewarnt. Nach der Besetzung Südfrankreichs durch die deutsche Wehrmacht war die Situation für die Familie, vor allem für Leo, noch gefährlicher. Leo schloss sich der Resistance an und wurde Mitglied der KP Frankreichs; Irene lebte mit den Kindern im Schutz der solidarischen Nachbarn; sie waren Teil der Gemeinschaft. Auch Irene brachte sich ein in den Widerstand, half mit bei der Organisierung von Lebensmitteln für die illegalen Kämpfer, unternahm Kurierdienste.

Doch im Januar 1944 musste auch Irene mit den Kindern „untertauchen“. In einem Dorf in der Nähe wurden sie in einer Scheune versteckt, bis zur Befreiung der Region im August.

Nach der Befreiung schlossen sich Irene und Leo der Bewegung Freies Deutschland für den Westen an. Für seine Tätigkeit als Widerstandskämpfer erhielt Leo von der Resistance Auszeichnungen und Würdigungen.

1946 kehrte die Familie nach Saarbrücken zurück und brachten sich unmittelbar in die politische Arbeit ein. Leo war in jenen Jahren KPD Stadtrat, wurde zum stellvertretenden Mitglied der Verfassungskommission des Saarlandes berufen, war Verlagsleiter und Redakteur der „Neuen Zeit“, der Zeitung der KPD und Mitbegründer und Geschäftsführer der Friedensbewegung Saar. Beide waren Mitbegründern der VVN Saar.

Irene engagierte sich bis deren Verbot im Demokratischen Frauenbund Saar, in der Westdeutschen Frauen- und Friedensbewegung und später in der Gesellschaft BRD-UdSSR und in der DKP. Zusammen mit KameradInnen der VVN begründete sie die antifaschistische alternative Stadtrundfahrt Saarbrücken. Bei vielen Fahrten war sie selbst dabei, nicht nur als Zeitzeugin, vor allem um die Menschen zu mahnen, sich zu engagieren, dass Niemand mehr flüchten muss, dass die Würde aller Menschen unantastbar ist, dass Kapitalismus und Sozialismus friedlich nebeneinander existieren.

Für ihr Engagement war sie 1988 vom damaligen Ministerpräsidenten des Saarlandes zusammen mit weiteren AntifaschistInnen mit dem Saarländischen Verdienstorden geehrt worden.

Die Enthüllung der Stolpersteine für Irene und Leo Bernard ist unabwendbar verbunden mit einer Würdigung des Sohnes Horst und der Tochter Alice. Beide setzten in ihrem eigenen Lebensweg das Engagement ihrer Eltern fort. Betont wurde dies u.a. von den LehrerInnen und SchülerInnen der Günter-Wöhe-Schulen. „In uns pflanzten sie den unerschütterlichen Glauben an Humanismus und Menschenrechte, an Solidarität und Mitmenschlichkeit.“ benannte Alice das elterliche Vermächtnis in ihrer Ansprache.

Alice Hornung und Horst Bernard, zusammen mit ihren inzwischen verstorbenen Ehepartnern Heinz Hornung und Eva Bernard, gehören zu den unermüdlich Engagierten gegen Rechts  und für aktive Friedenspolitik, gegen Rüstungs- und Kriegspolitik und für gesellschaftlichen Fortschritt. Seit ihrer Jugend sind sie politisch organisiert, in der Freien Demokratischen Jugend (FDJ Saar), in der KP Saar und der DKP, in der VVN. Seit dem ersten Ostermarsch im Saarland Anfang der 1960er Jahre, in der Kampagne für Demokratie und Abrüstung, im Widerstand gegen die Notstandsgesetze, gegen die NPD und weitere Rechtsparteien wie aktuell gegen die AfD, und auch noch beim diesjährigen Ostermarsch, Alice und Horst, sie sind dabei.

In beiden Familien lebt das gesellschaftspolitische Engagement in der nächsten Generation weiter, unterschiedlich, nicht in der gleichen Intensität.

Alice Hornung ist immer noch engagiert in der VVN-BdA als Mitglied der Landesleitung, Horst war viele Jahre Landesvorsitzender und ist heute Ehrenvorsitzender. Für sein unermüdliches antifaschistisches Engagement erhielt er mehrere Auszeichnungen, u.a. im Dezember 2019 das Bundesverdienstkreuz.

Alice war mehr gewerkschaftlich engagiert – und ist dies immer noch entsprechend ihren Kräften. In ihrer Gewerkschaft IGBAU hat sie stets über den gewerkschaftlichen Rand hinausgeblickt und für gesellschaftlichen Fortschritt, für mehr gewerkschaftliche und demokratische Rechte gekämpft und für Gleichberechtigung der Frauen, für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, den gewerkschaftlichen Widerstand gegen Rechts angemahnt und gewerkschaftliche Friedens- und Abrüstungspolitik gefordert.

Als Kommunisten haben sie gekämpft „für ein freies, menschliches Leben, für die Zukunftsinteressen der Menschheit.“ (Programm der DKP)

Rainer Dörrenbecher

Eine ausführliche Biographie von Irene und Leo Bernard in „Saarländerinnen gegen die Nazis“, Blattlaus-Verlag Saarbrücken, 2004

Ansprache von Alice Hornung bei der Enthüllung der Stolpersteine für Irene und Horst Bernard

Liebe Anwesende,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Conradt,

sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Emser,

sehr geehrter Herr Hebethal,

liebe Freundinnen und Freunde, liebe Familie,

heute stehen wir vor diesem Haus, das meine Mutter Irene am 17. Februar 1935 mit 2 Kleinkindern, nämlich mir im Alter von 3 Monaten und meinem Bruder Horst im Alter von zweieinhalb Jahren verlassen musste, um unserem Vater Leander ins Exil zu folgen und damit der lebensbedrohlichen Verfolgung durch die Faschisten zu entgehen. Sie verließ es für immer, und ist niemals in dieses Haus zurückgekehrt. Alles, was sie sich als junges Paar aufgebaut hatten, blieb zurück, als sie ganz allein von hier aus ins Ungewisse aufbrechen musste, in ein fremdes Land, dessen Sprache sie nicht sprach.

Nicht nur das Materielle ließ sie zurück, sondern auch viele Sehnsüchte und Hoffnungen, die junge Familien mit ihrer gemeinsamen Zukunft verknüpfen.

Im Namen der Familie von Irene und Leander Bernard möchte ich mich bedanken für die heutige Ehrung der beiden durch die Verlegung der Stolpersteine. Insbesondere für mich und für meinen Bruder Horst ist es bewegend, dass diese Stolpersteinverlegung möglich wurde.

Für die heutige Ehrung bedanken wir uns herzlich bei der VVN/Bund der Antifaschisten, die den Antrag dafür gestellt hat, beim Oberbürgermeister der Stadt, Herr Uwe Conradt, dem Bezirksbürgermeister Herrn Emser sowie all den Abgeordneten, die den Antrag unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt der Fraktion der „Linken“, die die Hälfte der Kosten für diese Verlegung übernommen hat.

In einer Zeit, in der in unserem Land Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in den Köpfen vieler Menschen wieder salonfähig werden, finden wir es wichtig, an die Menschen zu erinnern, die schon damals davor gewarnt hatten und der Menschen zu gedenken, die all das schon einmal erlebt haben und einen hohen Preis dafür bezahlen mussten: den Verlust der Heimat, den Verlust der Familie, der Freunde, nicht wenige auch den Verlust geliebter Menschen durch die Ermordung durch die Nazis. Viele von ihnen verloren auch das eigene Leben.

Hoffnungsvoll stimmt uns, dass sich Schüler und Schülerinnen des Günter-Wöhe Gymnasiums mit den zuständigen Lehrern und Lehrerinnen und ihrem Rektor dazu bereit erklärt haben, die Biographie von Irene und Leo im Rahmen dieser Veranstaltung vorzustellen.

Es ist mir ein besonderes Anliegen, aus einem Gedicht zu zitieren, das mein Vater in einem Internierungslager in Catus in Südfrankreich zwei Tage vor meinem 5. Geburtstag geschrieben hat. Er war damals 29 Jahre alt und wusste nicht, ob er seine Familie noch einmal wiedersehen würde. Gott sei Dank wurde dies durch die Geburt meines jüngeren Bruders Guy in Frankreich möglich, da dessen Geburt auf französischem Boden die Freilassung meines Vaters ermöglichte. Das Gedicht heißt „Freiheit und Wahrheit“ und drückt Mut, Hoffnung und Sehnsucht aus:

„Die Wahrheit bringt uns die Heimat zurück

Mit ihr verhelfen wir der Freiheit zum Sieg

Und wenn wir die haben,

Geloben wir sie festzuhalten.

Wir setzen ein für sie unser ganzes Leben.

Nie wieder soll es ein Catus geben.“

Dieser Überzeugung sind unsere Eltern immer treu geblieben, als Kommunisten in der deutschsprachigen Sektion der französischen Resistance, in der meine Eltern unter Lebensgefahr kämpften, aber auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland:

Irene als Mitinitiatorin der alternativen Stadtrundfahrten in Saarbrücken, für die sie auch mit dem saarländischen Landesverdienstorden ausgezeichnet wurde,

Leander als stellvertretendes Mitglied in der Verfassungskommission des Saarlandes, als langjähriger Stadtverordneter der kommunistischen Partei in Saarbrücken und als Mitinitiator der Friedensbewegung Saar

und beide als Mitbegründer der VVN/ Bund der Antifaschisten.

In uns pflanzten sie den unerschütterlichen Glauben an Humanismus und Menschenrechte, an Solidarität und Mitmenschlichkeit.

Wir haben das Vermächtnis stets so verstanden, dass wir uns in der VVN/Bund der Antifaschisten, als Mitglieder der DKP, in der Friedensbewegung, in den Gewerkschaften, und wo immer es uns möglich ist, einsetzen, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.

Damit nie wieder junge Menschen unser Land mit einer ungewissen Zukunft verlassen oder menschenfeindliches Gedankengut mit ihrem Leben bezahlen müssen. Und dafür gilt es jederzeit, sich zu wehren und Verantwortung zu übernehmen.

Mögen uns die Stolpersteine für Leo und Irene stets daran erinnern.

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