Input von Thomas Hagenhofer (Landesvorsitzender der DKP Saarland) auf dem Plenum des Bündnis solidarische Linke am 1.12.2025
Thesen
- Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist neben der Beschaffung von Kriegsmaterial und dem medialen Trommelfeuer für Kriegstüchtigkeit das Kernstück der Kriegsvorbereitung.
- Die Wehrpflicht ist eine extrem jugendfeindliche Maßnahme und setzt damit eine Tradition der herrschenden Politik fort (Bildungssparen, Coronamaßnahmen).
- Die Wehrpflicht soll nicht nur Kanonenfutter für den kommenden Krieg beschaffen, sondern auch die letzten Errungenschaften der Friedensbewegung der 80er Jahre tilgen.
- Die Wiedereinführung der Wehrpflicht löst bei großen Teilen der Bevölkerung Angst und Betroffenheit aus. Sie kann mobilisierend für Friedensaktionen werden und der Friedensbewegung aus ihrer Überalterung heraushelfen, wenn die Chancen ergriffen werden.
- Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht ist die Friedensbewegung gefordert, Strukturen der Kriegsdienstverweigerungsberatung wieder aufzubauen und sich selbst in dieser Frage zu qualifizieren.
- Im nicht-pazifistischen Teil der Friedensbewegung muss die Frage diskutiert werden, ob und zu welchem Zeitpunkt erneut antimilitaristische Strukturen innerhalb der Bundeswehr aufgebaut werden sollen und können.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Friedensbewegung,
viele Menschen in unserem Land sind zurecht zutiefst beunruhigt über die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Die Diskussion darüber kommt nicht zufällig. Sie ist eingebettet in eine politische Gesamtentwicklung, die wir in den letzten Jahren sehr deutlich beobachten können: massive Aufrüstung, Beschaffung immer neuer Kriegsmaterialien, eine zunehmend konfrontative Außenpolitik und ein permanentes mediales Trommelfeuer, das Normalität und Notwendigkeit militärischer Lösungen suggeriert.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist in diesem Kontext nicht irgendeine Einzelmaßnahme. Sie ist – und das ist mir wichtig – ein Kernstück umfassender Kriegsvorbereitungen.
- Die Wehrpflicht als Baustein erneuter Kriegsvorbereitung
Wenn wir von Kriegsvorbereitung sprechen, klingt das drastisch. Aber genau das erleben wir: Die Bundesregierung erhöht die Rüstungsausgaben auf historische Höhen, neue Waffensysteme werden im Eiltempo beschafft, und gleichzeitig wächst der Druck, die Bundeswehr personell zu verstärken.
Die Wehrpflicht soll hier eine Lücke füllen. Die junge Generation soll nun wieder in Pflicht genommen werden, um militärische Kapazitäten aufzustocken. Und wie immer werden es vor allem junge Männer aus der Arbeiterklasse sein, die sich angesichts schlechter werdender Berufsperspektiven z. B. in der Industrie für die Bundeswehr entscheiden werden.
Die Wehrpflicht ist nicht nur sicherheitspolitisch fragwürdig, sondern vor allem gesellschaftlich fatal. Denn damit wird erneut eine Politik bekräftigt, die seit Jahren vor allem eines tut: Jugendliche und junge Erwachsene in die Verantwortung nehmen für die Krisen und Kriege des Kapitalismus, statt ihnen Zukunftschancen und friedliche Perspektiven zu öffnen. Statt die Klimakatastrophe abzuwenden, werden Soldat:innen für die neue Ostfront gesucht oder verpflichtet. Die prognostizierte Zahl der Gefallenen und Verwundeten in diesem neuen Weltkrieg liegt zwischen 1.000 und 5.000 Menschen pro Tag.
- Eine jugendfeindliche Maßnahme – Teil einer längeren politischen Linie
Die Wehrpflicht ist nicht nur ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht junger Menschen. Sie knüpft an eine Reihe jugendfeindlicher Maßnahmen der vergangenen Jahre an.
Wir erinnern uns an Bildungskürzungen, an mangelnde Zukunftsinvestitionen, an den Umgang mit jungen Menschen während der Corona-Pandemie.
Und jetzt soll eine ganze Generation wieder in ein militärisches Pflichtsystem eingegliedert werden.
Wichtige Fragen werden gar nicht gestellt:
- Welche Perspektiven bietet unsere Gesellschaft jungen Menschen jenseits des Militärischen?
- Wo sind die Investitionen in Bildung, Klimaschutz, soziale Sicherheit?
- Warum setzen wir Milliarden für Waffen ein – aber nicht für Zukunft?
Die Antwort liegt auf der Hand: Die Wehrpflicht ist kein Jugendförderprogramm, sondern ein Instrument zur Sicherung militärischer Interessen.
- Angriff auf die Errungenschaften der Friedensbewegung
Wir dürfen nicht vergessen: Die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 war nicht nur eine technische Modernisierungsmaßnahme. Sie war auch ein indirekter Erfolg der Friedensbewegung der 1980er Jahre.
Millionen Menschen hatten damals gegen atomare Aufrüstung, gegen Militarisierung und gegen staatliche Pflichtdienste demonstriert. Die starke Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung wurde von Kirchen, Initiativen und unabhängigen Beratungsstellen mit erkämpft.
Heute sollen diese Errungenschaften stillschweigend rückgängig gemacht werden.
Das militaristische Denken und Handeln soll durch die „Schule der Nation“, wie sich die Bundeswehr früher nannte, wieder breit in den Köpfen junger Menschen und der Gesellschaft verankert werden. Die Herrschenden wollen Deutschland zur größten Militärmacht in Europa ausbauen. Dazu braucht es eine kriegsbereite Zivilgesellschaft, die erneut den Weg in den Untergang mitgehen will.
Wer Wehrpflicht wiedereinführt, will nicht nur Soldaten.
Er will auch Erinnerung löschen:
- an erfolgreiche Verweigerung,
- an antimilitaristische Praxis,
- an gesellschaftlichen Widerstand.
Genau deshalb trifft die Wehrpflicht nicht nur die Jugend – sie trifft auch die Tradition der Friedensbewegung.
- Die Bevölkerung ist beunruhigt – ein Moment, der mobilisieren kann
Wir beobachten derzeit etwas Bemerkenswertes: Die Debatte über die Wehrpflicht löst Angst, Betroffenheit und Unruhe aus – und zwar weit über klassische friedenspolitische Kreise hinaus.
Viele Eltern haben Angst um ihre Kinder.
Viele junge Menschen spüren erstmals, dass Politik ganz direkt in ihr Leben eingreifen könnte.
Und viele Menschen, die sich bisher nicht politisch engagiert haben, suchen nach Informationen und Orientierung.
Das ist eine Herausforderung – aber auch eine riesige Chance für die Friedensbewegung. Denn zum ersten Mal seit Jahren besteht eine reale Möglichkeit, junge Menschen für friedenspolitische Themen zu gewinnen und aus der Überalterung vieler Strukturen herauszukommen.
Die Frage ist: Nutzen wir diesen Moment?
- Notwendig: Wiederaufbau von Strukturen der Kriegsdienstverweigerungsberatung
Wenn die Wehrpflicht tatsächlich zurückkommt – oder auch nur die politische Debatte darüber weiter vorangetrieben wird – dann braucht die Zivilgesellschaft funktionierende Beratungsstrukturen.
Die Realität ist: Viele Beratungsstellen gibt es nicht mehr. Wissensbestände sind verloren gegangen, Generationen friedenspolitischer Arbeit sind abgewandert oder im Ruhestand.
Die Friedensbewegung muss daher:
- Wissen zur Kriegsdienstverweigerung neu aufbauen,
- junge Menschen informieren,
- Beratung professionell und niedrigschwellig anbieten,
- und sich selbst weiterbilden, um rechtlich und praktisch fundiert zu beraten.
Das ist keine kleine Aufgabe. Aber es ist eine, die wieder zu unserer Kernkompetenz werden kann – und muss.
- Antimilitaristische Arbeit innerhalb der Bundeswehr? – eine schwierige, aber notwendige Debatte
Innerhalb der Friedensbewegung gibt es zu dieser Frage sicher unterschiedliche Positionen. Aber eines verbindet uns: der Wunsch, militärische Eskalation zu verhindern und Menschen vor Krieg zu schützen.
In früheren Jahrzehnten gab es antimilitaristische Netzwerke auch innerhalb der Bundeswehr – etwa zur Unterstützung von Verweigerern, zur Dokumentation von Missständen, zur Verbreitung von Friedenspositionen oder zur Aufklärung über das Soldatengesetz, denn auch Soldat:innen haben Rechte.
Sollte es erneut Wehrpflicht geben, stellt sich die Frage, ob und wann solche Strukturen wieder aufgebaut werden können.
Das ist kein romantischer Rückblick, sondern eine realpolitische Frage:
Wenn junge Menschen in ein Pflichtsystem gezwungen werden, braucht es auch innerhalb dieses Systems Träger des Widerspruchs, der Aufklärung und der Unterstützung.
Diese Diskussion muss nicht heute geführt werden, aber sie kann sich schon bald stellen.
- Schluss: Die Friedensbewegung steht an einem Wendepunkt
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Diskussion um die Wehrpflicht markiert einen Wendepunkt. Nicht nur militärisch, sondern gesellschaftlich.
Wir stehen vor einer Entscheidung:
- Lassen wir zu, dass eine neue Generation in ein militärisches Pflichtsystem gedrängt wird?
- Oder nutzen wir die aktuelle Unruhe, um Bewegung zu schaffen – eine neue, jüngere, breitere Friedensbewegung?
Die Aufgabe ist groß. Aber die Chancen sind ebenfalls groß.
Wenn wir jetzt aktiv werden,
- Beratungsstrukturen aufbauen,
- junge Menschen einbeziehen,
- klare antimilitaristische Positionen formulieren,
- und Alternativen zum Kriegskurs aufzeigen,
dann können wir der militaristischen Logik etwas entgegensetzen:
eine Gesellschaft, die ein imperialistisches Deutschland von neuen Kriegsabenteuern abhalten und zum Frieden zwingen kann.
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.
Ich freue mich auf Fragen, Ergänzungen und die Diskussion.

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